Redaktionelle Bemerkungen
zur Veröffentlichung der Novissima Sinica im Netz
Die Herausgeber der ersten deutschen Übersetzung der Novissima Sinica schrieben im Oktober 1979:
Novissima Sinica (lateinisch) = Das Neueste von China (deutsch) - könnte die Überschrift des Berichtes eines modernen Zeitungs-Journalisten sein. Die Anfügung von Original-Berichten
und Dokumentationen entspricht gleichfalls der anzustrebenden Gewissenhaftigkeit eines modernen Journalisten, der durch die Mitteilung seiner Quellen dem Leser eine eigene Urteilsbildung
ermöglichen will oder jedenfalls sollte. Die Sorgfalt des Verfassers geht sogar so weit, daß er in der zweiten Auflage, die bereits nach zwei Jahren erforderlich wurde, das inzwischen erschienene
»Porträt des regierenden Kaisers von China (K'ang-hsi)« des Franzosen Joachim Bouvet, das er aus dem Französischen ins Lateinische übersetzte, als zusätzliches Material seinen Lesern
nicht vorenthalten wollte.
Tatsächlich wurde der Bericht jedoch vor nahezu 300 Jahren (1697; 2. Auflage 1699) veröffentlicht von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), einem der letzten großen Universalgenies
des Westens, der noch einmal nahezu das gesamte Wissen seiner Zeit in sich vereinigte mit dem Ziel, nicht nur die wichtigsten Wissensgebiete durch eigene Gedanken und eigenes Forschen zu
bereichern, sondern vor allem zur Besserung des Menschengeschlechtes (in vernunftmäßiger, aber auch moralischer Hinsicht) in eigener rastloser und unermüdlicher Tätigkeit beizutragen.
Die Novissima erschienen 1979 (- manche mögen sich erinnern -) zu einem
Zeitpunkt, als Spekulationen und hysterische Erwartungen auf die Volksrepublik China als willkommenen Partner des Westens in einer »geopolitischen« Zangenbewegung gegen die riesige Sowjetunion, den
Gegner im kalten Krieg setzten. Der Economist überschrieb damals einen triumphierenden Leitartikel so: »China + West = Rattled Russia«.
Solche Erwägungen der Ausnutzung Chinas als eines Werkzeugs in der
internationalen Politik konnten den Absichten der Herausgeber fremder nicht sein. Vielmehr sollte ihre Pionierarbeit, einen vielberedeten, selten
wichtig genommenen und noch seltener gekannten Text Leibnizens der Vergessenheit zu entreißen und ihn einer deutschen Leserschaft zu Gesicht zu bringen, ein Projekt fördern und zur Wiedererinnerung bringen, das sie in
ihrem Vorwort so beschrieben:
Als politisch denkender und sich verantwortlich fühlender Mensch wollte Leibniz vor allem auf die großen Entschlüsse der Weltpolitik
Einfluß nehmen. Er wollte z.B. in seiner »Ägyptischen Denkschrift« (1672) Ludwig XIV., den Herrscher von Frankreich, veranlassen, seine kriegerische Expansionen nicht nach Deutschland, sondern
nach Ägypten, zu richten. In mehreren Denkschriften und persönlichen Begegnungen machte er dem russischen Zaren Peter dem Großen Vorschläge zur Förderung der kulturellen Entwicklung
Rußlands und Bewältigung der Aufgabe, Mittler zwischen China und dem Westen zu sein.
Die Novissima Sinica war von ihm dem Ziel gewidmet, einen echten großen kulturellen Austausch zwischen dem Westen und China zu begründen, wobei der Westen nicht nur Lehrender und
Gebender, sondern auch Lernender und Empfangender sein sollte. Er hatte sogar die Vision einer Zusammenarbeit der Wissenschaftler aller großen Weltkulturen in einer gemeinsamen
Welt-Akademie der Wissenschaften. (Das vollständige Vorwort und die Einleitung zur lateinischen und deutschen Ausgabe.)
Der einleitenden Würdigung der Herausgeber (von 1979) muß die Redaktion dieser Internetausgabe kaum etwas hinzufügen – außer der
einen Feststellung, daß Leibnizens Projekt des Jahres 1697 heute »Dialog der Kulturen« genannt wird. Sowohl von den systematischen Fragestellungen als auch von den beim Finden der Antworten
freizulegenden Möglichkeiten könnte dieser Dialog entscheidende Belehrungen empfangen. Und der anderen Feststellung, was die Zugänglichkeit der Leibnizschen Schrift anbelangt. Man muß schon ein wenig
Jäger und Sammler sein, um heute noch eine Ausgabe des 1979 herausgebrachten Büchleins zu erwerben. Beiträge zu einem 1997 in Berlin abgehaltenen Internationalen Symposion über »Das Neueste über China«
sind, mitherausgegeben von Prof. Hans Poser, hier dokumentiert – doch
enthält dieser Band die Schrift selbst nicht. Diese Lücke zu füllen und für das »Neueste über China« die weitestmögliche Verbreitung zu gewährleisten, dient diese Veröffentlichung der Studien von Zeitfragen im Netz - nicht
ohne den lateinischen Text, der, wie uns Professor Poser mit Grund erinnert hat, »jedenfalls für eine ernstere Beschäftigung unvermeidlich ist«. Diese
Beschäftigung hat die Redaktion durch Quer- und Rückverweise zwischen den jeweiligen Paragraphen des Leibnizschen Textes und der deutschen Übersetzung zu erleichtern versucht. PGS
|
Leibniz und Russland
Begegnungen zwischen Leibniz und Peter dem Großen
|