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36. Jahrgang InternetAusgabe 2002
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Casablanca und der neue Nahe Osten

Stichworte aus einem Referat im Freundeskreis des Euphorion-Verlages 1994

... zur Wirtschaftskonferenz in Casablanca (und vom Umgang mit dem Falschen)

FAZ, 01. November 1994

»Zu der Wirtschaftskonferenz im marokkanischen Casablanca sind mehr als zweitausend Geschäftsleute und Politiker aus den nordafrikanischen und arabischen Ländern, aus Israel und aus dem Westen zusammengekommen, um über einen ›Marshall-Plan‹ für den Nahen Osten zu reden.«

 Im Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird eine Wertung dieser Konferenz vorgenommen, die sehr viel Gespür für die geschichtlichen Möglichkeiten einer solchen Zusammenkunft und der aus diesem Anlaß vorgetragenen Absichten und Bestrebungen erkennen läßt.

»Von Peres’ Träumen eines blühenden und befriedeten Orients, in dem die Demokratie gedeiht und gutnachbarschaftliche Verhältnisse herrschen, ist die Region Lichtjahre entfernt.«
»Dennoch ist dies eine bedeutende Konferenz. Sie kann als ein wichtiger Schritt zur Normalisierung der Verhältnisse im Nahen Osten in die Geschichte eingehen.«

...

»Äußerlich geht es bei dieser Konferenz um Wirtschaft. Doch ebenso wichtig sind die politischen Auswirkungen und vor allem die Elemente der Psychologie, die sie in sich birgt. Es bedeutet schon etwas, daß zahlreiche israelische Minister unter der Führung Ministerpräsident Rabins sich jetzt mehr oder weniger unbefangen mit ihren arabischen ›Gegenstücken‹ unterhalten und Meinungen austauschen können, die ein halbes Jahrhundert lang ihre ›Erzfeinde‹ gewesen sind.«

...

»Der Weg zum Nahost-Frieden führt nicht zum geringsten Teil über ein umfassendes Konzept zur ökonomischen Entwicklung der Länder in der Region. Nur wenn es gelingt, die jetzt schon geschlossenen Friedensvereinbarungen in soziale Sicherheit und Wohlstand umzusetzen, wird aus dem abstrakten Netzwerk diplomatischer Abmachungen eine tiefreichende Befriedung der Region werden können.«

...

»Die Aufgaben sind gigantisch. Durch die arabische Welt geht ökonomisch und gesellschaftlich ein Riß, der schon während des Golfkrieges deutlich wurde, als Saddam Hussein sich vorübergehend, um sein Tun zu rechtfertigen, als Sachwalter der Habenichtse darzustellen versuchte. Vereinfacht gesprochen gibt es arabische Länder mit geringer Bevölkerung, die reich sind (Musterbeispiele sind Kuweit und Saudi-Arabien, aber auch Libyen), und bevölkerungsreiche, wenn nicht gar übervölkerte Staaten wie Ägypten, Marokko, auch Algerien, die zu den Armen zählen.«

...

»Der Frieden darf aber nicht nur den Israelis nützen. Vieles wird davon abhängen, ab die finanziell vermögenden Staaten, von denen die meisten dem konservativen Lager zugehören, umfassend zur Entwicklung der Region beitragen oder sich verweigern.«

 Die Kernfrage der Konferenz war der Vorschlag zur Gründung einer Entwicklungsbank für den Nahen Osten. Von den Finanzmitteln, die eine solche Bank den beteiligten Staaten zur Verfügung stellen müßte, hängen alle bisher nur gedachten Projekte und Planungen ab, die für einen auf wirtschaftlichen und sozialen Interessenausgleich unerläßlich sind.

 In seinem kürzlich veröffentlichten Buch beschreibt der israelische Außenminister Shimon Peres die Notwendigkeit für eine solche Entwicklungsbank für den Nahen Osten. Er schlägt vor, die Bank mit einem Kapital von 24 Mrd. Dollar auszustatten, das von den regionalen Regierungen sowie Japan, USA und den Staaten der Europäischen Union aufgebracht werden soll. Die Weltbank soll an dem Projekt ausdrücklich nicht beteiligt werden, da die Weltbank weder an Israel Kredite vergibt, wegen des hohen Pro-Kopf-Einkommens, noch an die Palästinenser, da diese noch keinen Staat gebildet haben.

 Selbstredend haben ›Wirtschaftsexperten‹ Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Institution geäußert. Beispielhaft für die Bürokratenbedenken an der Einrichtung einer neuen Entwicklungsbank mit neuen Regeln zur Vergabe von Darlehen sind die Äußerungen vom deutschen Außenminister Kinkel: »Wir wollen alles erst einmal in Ruhe prüfen. Möglicherweise kann doch die Weltbank die Finanzierungsaufgaben genausogut übernehmen.«

 Solcherart Bedenken werden die Verwirklichung der Vorschläge zu einer Neugestaltung der Beziehungen im Nahen Osten nicht aufhalten. Erst recht dann nicht, wenn sich dem Bewußtsein der Völker des Nahen Ostens die Vorteile »eines Nahen Ostens ohne Grenzen« einprägen. Diesem Sog werden sich die konservativen Regimes, deren Stellung heute noch die von tragenden Säulen des internationalen Ölkartells ist, aber schon morgen die von wirtschaftlichen Stützen ›arabischer Solidarität‹ im Nahen Osten werden muß, nicht entziehen können, wenn die Fronten im Nahen Osten aufgeweicht sein werden und der zionistische Feind der islamischen und arabischen Staaten im Ergebnis seiner selbstauferlegten Läuterung gerade durch seine nachbarschaftlicher werdenden wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den arabischen Staaten von der Bedrohung im gemeinsamen imperialen Erbe und seiner Frontordnung zum Partner heranreift.

 Dem israelischen Außenminister Peres erscheint die Erklärung der Konferenz von Casablanca »revolutionär«; es sei die »Geburt eines neuen Nahen Ostens« eingeläutet worden, der Juden, Moslems und Christen den freien Grenzverkehr ohne Angst ermögliche.


... und die Erläuterung des Entwicklungskonzepts durch Shimon Peres

 

Investitionen und Finanzierungsquellen

 (7. Kapitel aus: Shimon Peres »Die Versöhnung - Der neue Nahe Osten«, Goldmann Verlag, München 1996 / Die hebräische Ausgabe wurde im September 1993 abgeschlossen.)

 Wir können den neuen Nahen Osten nicht nur auf einer politischen Grundlage aufbauen. Wenn die Veränderung der Region sich darauf reduziert, daß neue Schilder aufgestellt und die alten Grenzen markiert werden, wird nicht viel erreicht sein, und auch das Erreichte wird nicht von Dauer sein. Der Prozeß des Gärens wird andauern, da die Hauptursache fiir die häufigen Krisen nicht allein politischer, sondern hauptsächlich wirtschaftlicher und sozialer Natur ist. Solange die Nahrungsmittel nicht ausreichen, um die Bevölkerung zu ernähren, solange das Tempo des Ressourcenzuwachses niedriger bleibt als die Rate des Bevölkerungswachstums, wird die Not andauern ebenso wie ihre politischen Auswirkungen, sei es unter der Uniform der Revolution, sei es unter dem Talar des religiösen Fundamentalismus.

 Die Erlösung kommt nicht aus politisch ›leeren‹ Regelungen, die nicht die Wurzeln der Not und der Gärung berücksichtigen. Zwar trifft das Argument zu, daß nicht nur die wirtschaftliche Not den Fanatismus und die fundamentalistische Vereinfachung geboren hat, sondern daß es auch ein interner Protest gegen die Moderne und deren Grundwerte ist. Dennoch sind die Chancen gering, diesen Protest mit all seinen Gefahren zu überwinden, wenn nicht zuallererst eine grundlegende Veränderung in der wirtschaftlichen Infrastruktur der nahöstlichen Gesellschaften herbeigeführt wird. Je länger wir zögern, um so schwerer wird es uns fallen, Heilung zu finden. Je schneller wir damit beginnen, desto besser.

 Die moderne Wirtschaft wird nicht geboren. Sie wird erschaffen. Einige Regeln für diesen Prozeß sind klar und deutlich: Verringerung der Investitionen in Waffen und Kriege; Verstärkung der Investitionen in das Erziehungswesen; Nutzung der vorhandenen Naturschätze und, falls nötig, Schaffung von Alternativen; Errichtung von Energie- und Entsalzungsanlagen; Aufbau einer zeitgemäßen Infrastruktur für Transport, Verkehr und Kommunikation; Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft und des Fremdenverkehrs unter Ausnutzung der relativen Vorteile; Öffnung der Grenzen und Förderung des Wettbewerbs.

 Die Optimierung dieser Ziele macht es notwendig, den Nahen Osten als ein regionales System zu betrachten, das sich mit diesen enormen Aufgaben viel besser auseinandersetzen kann, als es jeder Staat für sich allein könnte. Deshalb benötigt der Nahe Osten ein regionales System der wirtschaftlichen Hilfe. Ich meine damit Wirtschaftshilfe im weiten Sinne und nicht nur finanzielle Unterstützung im engeren Verständnis. In dieser Welt mangelt es nicht an Staaten, die finanzielle Hilfe suchen und fremde Gelder verbrauchen. Was der Nahe Osten wirklich braucht, ist eine Wirtschaft, die Einkommen erzeugt, statt einer Wirtschaft, die von Almosen lebt. Eigene Einsparungen (Reduzierung der Sicherheitsausgaben, Verkleinerung der veralteten Bürokratien, Rationalisierung des Verkehrs, Optimierung der Ausnutzung von Boden- und Naturschätzen etc.) werden ein wertvoller Beitrag zum Aufbau einer solchen Wirtschaft sein, aber sie werden nicht genügen. Die Gründung eines neuen Nahen Ostens bedarf der Konzentration von internationalen Investitionen im großen Maßstab.

 Über den Nahen Osten als wirtschaftlich lebendigen Organismus wurde bislang hier sehr wenig nachgedacht. Nirgendwo sind die relativen wirtschaftlichen Vorteile der Region zusammengefaßt worden. Daher muß es die erste Aufgabe sein, zuverlässige und aktuelle Daten zusammenzutragen, um die notwendige Vorlage für eine Entscheidung zu schaffen. Bisher waren die Vorstellungen vom Nahen Osten auf zwei konstanten Annahmen begründet: die Notwendigkeit hoher militärischer Ausgaben und das Fehlen offener Grenzen. Der Frieden wird diese Grundvoraussetzungen ändern und neue Möglichkeiten eröffnen.

 Drei große Wirtschaftssysteme funktionieren zur Zeit auf der Welt: der amerikanische, der europäische und der japanische Markt. Die Vereinigten Staaten blieben der größte Staat der Welt, der die Neigung, das Vermögen, die Erfahrung, das Vertrauen und das Image hat, um eine internationale Politik zu führen, die diesen Namen verdient. Die USA haben diese Erfahrungen gemacht und dieses Vertrauen gewonnen, weil sie die meiste Zeit ihrer Existenz als Großmacht sich als großzügiger Staat erwiesen haben, der bereit war, seinen Nächsten sowohl im Bereich der militärischen Sicherheit als auch des wirtschaftlichen Aufbaus zu helfen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kämpften die Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika zweimal auf europäischem Boden, um den Europäern zu helfen, die Tyrannei zu überwinden und ein internationales politisches System von Recht und Freiheit aufzubauen. Am Ende beider Weltkriege forderten die Vereinigten Staaten nichts für sich selbst, im Gegenteil: Nach dem Ersten Weltkrieg unterbreiteten sie das Wilson-Programm, und am Ende des Zweiten Weltkriegs setzten sie den Marshall-Plan in Kraft, um Europa zu helfen, sich selbst wiederaufzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterhielten sie in Europa weiterhin Truppen, um sich der kommunistischen Gefahr entgegenzustellen. Als der Kommunismus zusammenbrach, zögerten die Amerikaner nicht, Gorbatschow und nach ihm Jelzin wirtschaftliche Hilfe zu gewähren, um Rußland den Neuaufbau zu erleichtern.

 Dies trifft im Grundsatz auch für den Fernen Osten zu. Allerdings fanden sich die Vereinigten Staaten in Südostasien zweimal in ›heiße‹ Kriege verwickelt, mitten im Kalten Krieg – in den fünfziger Jahren in Korea und Anfang der siebziger Jahre in Vietnam – und dies vor dem Hintergrund ihrer Angst vor der Ausdehnung des Kommunismus. Nur in Japan war das Bild dem ähnlich, was sich in Westeuropa vollzog.

 In Japan unterstützten die Vereinigten Staaten den Feind von gestern, halfen ihm, sich zu erholen. Den größten Sieg erzielte General McArthur nicht auf dem Schlachtfeld; ich halte vielmehr seine Aufbauleistungen als Leiter der Militärregierung im Nachkriegsjapan und seine Einführung neuer Lebensformen und neuer wirtschaftlicher Strukturen für seinen größten Erfolg. So erklomm Japan den wirtschaftlichen Gipfel – eine nützliche Alternative zur militärischen Macht, die es im Krieg verloren hatte.

 Zur Zeit befinden sich die USA im Kampf gegen den eigenen defizitären Haushalt, und ihre Möglichkeiten, unmittelbare finanzielle Hilfe zu leisten, haben stark abgenommen. Die Vereinigten Staaten erfüllen zwar nach wie vor ihre Mission, der größte politische Brückenbauer der Geschichte zu sein. Aber sie können nicht mehr wie früher den Beitrag zur Finanzierung leisten, um die Ufer auf beiden Seiten der Brücke, die sie gebaut haben, neu zu gestalten.

 Das Spannungsfeld zwischen den beiden historischen Haupttendenzen, die sich zur Zeit in Europa abzeichnen – die Einigungstendenz auf der einen und der nationale Separatismus auf der anderen Seite –, bildet den Hintergrund für den wirtschaftlichen Prozeß, der diesen Kontinent beschäftigt. Zwar befindet er sich in einer Art schwieriger ›Stimmung‹, aber er ist nach wie vor der größte Markt der Welt. 35 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts werden dort erzeugt, und 45 Prozent des Welthandels werden hier abgewickelt. Im Laufe der Geschichte pflegte Europa bei allem, was Investitionen und seinen Beitrag für andere Völker betraf, übertriebene Zurückhaltung und Vorsicht zu wahren, ganz im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten. Europa benötigte lange Zeit, um sich von der kolonialistischen Tradition zu befreien. Es sah früher in den Kolonien immer eine Einkommensquelle und nicht das Ziel von Hilfsleistungen. Als sich die Zeiten änderten und Europa seine Kolonien in Afrika und Asien verlor oder in die Freiheit entließ – vielleicht besser gesagt, sich von ihnen befreite –, sank die Machtstellung vieler Staaten – Englands, Portugals, Hollands sowie Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, Italiens und Spaniens. »Großbritannien«, schrieb Dean Acheson in seinem Buch »Present at the Creation«, »verlor ein Imperium und fand keine Rolle« – ein Wort, das auch auf andere ehemals imperialistische Mächte Europas zutrifft.

 Europa gewann seine Stellung erst infolge der Errichtung des gemeinsamen Marktes wieder. ›Die Mutter der Kontinente‹ begann, sich als beitragsleistende Macht zu organisieren: Sie gründete die Europäische Entwicklungsbank, mit deren Hilfe einige schwächere Wirtschaften in Europa und auch außerhalb wohlgeplante Unterstützung erhielten, um auf das Niveau der weiterentwickelten Wirtschaften zu gelangen. Sie initiierte (zwar in einem anderen Rahmen) die Gründung einer Bank für die Hilfe in Osteuropa, und sie leistete einen unmittelbaren Beitrag in Hunger- und Flüchtlingsgebieten. In diesem Rahmen erhielten auch die Palästinenser Hilfe. 90 Millionen Ecu wurden als Hilfe für die Bewohner der Westbank und des Gaza-Streifens zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus zahlen einige europäische Staaten unmittelbar große Geldsummen, die etwa 0,5 bis 1,5 Prozent ihres Bruttosozialproduktes ausmachen, um bedürftigen Staaten Hilfe zu leisten.

 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts läßt sich feststellen, daß Europa von dem Niveau der Wirtschaftshilfe, die von den Vereinigten Staaten Mitte des Jahrhunderts geleistet wurde, zwar noch weit entfernt ist, aber es hat begonnen, es ihnen gleichzutun.

 Nachdem Japan auf den Weg des Aufbaus und der ökonomischen Stärke gebracht worden war, betrachtete es die restliche Welt verständlicherweise zunächst mit wirtschaftlich egoistischen Augen. Der einzige Staat, der den Horror der Atomwaffen zu spüren bekam, änderte seine Orientierung bis zur Unkenntlichkeit. Japan brauchte in den ersten Jahrzehnten nach 1945 jene charakteristische Politik, um sein neues Selbstverständnis und die nationale Politik auf stabile, traditionelle Fundamente zu stellen. Die Abwendung von der Politik der militärischen Stärke wirkte sich auf die nationale Perspektive aus. Japan machte sich die Annahme zu eigen, die ganze Welt drehe sich nur um Wirtschaft, und alles – auch die gesamte Politik – müßte den Regeln der Bilanzierung unterworfen sein. Eigentlich hätte Karl Marx seine Genugtuung an diesem Verhalten Japans haben können, bis sich etwas ereignete, das sich von dem, was Marx vor seinem geistigen Auge sah, total unterschied: Nicht aufgrund von Veränderungen in den internen Produktionsverhältnissen, sondern wegen der Einwirkung immaterieller Elemente auf die Weltmarktwirtschaft wandelte sich Japans Einstellung gegenüber dem kapitalistischen Egoismus. Allmählich wurde den Japanern selbst klar, daß ihre Produkte höher geschätzt wurden als die Politik ihrer Regierungen. Gegen die japanischen Qualitätsprodukte entstand weltweit eine zunehmende Animosität, die die Fortsetzung der erfolgreichen Vermarktung und damit die Prosperität des Landes gefährdete.

 Vor diesem Hintergrund zeichneten sich in letzter Zeit Veränderungen ab. Die Japaner verstehen sehr wohl, daß sie ihre Waren nicht nur in Verpackungen hüllen müssen, die das Auge ansprechen, sondern auch in eine politische Verpackung, die das Herz anspricht. Aus diesem Grund begann Japan mit einer ganz wesentlichen Erhöhung seiner Auslandshilfe. In Anbetracht des relativ niedrigen Anteils der Militärausgaben am japanischen Haushalt – Japan gibt für Verteidigung nicht mehr als 1 Prozent des Bruttosozialprodukts aus (gegenüber 3 bis 7 Prozent bei der Mehrzahl der entwickelten Volkswirtschaften) – konnte diese starke wirtschaftliche Macht mehr in auswärtige Hilfe investieren, wenn nicht zur Abschreckung der Feinde, so doch zumindest, um Freundschaften zu vertiefen.

 Ein weiterer Faktor, den man in Betracht ziehen muß, ist die Erholung einiger Volkswirtschaften in den letzten zehn Jahren, die Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre als erfolglos und schwach galten. Die Hilfe, die ihnen geleistet wurde, zeigte Wirkung. Dies trifft ganz besonders auf einige Staaten in Asien und Lateinamerika zu.

 Diese Analyse führt zu dem Schluß, daß Europa und Japan, die wirtschaftlich so mächtig sind, einen Beitrag für die Sanierung neuer Regionen einschließlich des Nahen Ostens leisten können, ähnlich wie es die Vereinigten Staaten taten. Dieser Beitrag wäre aber nur eine der Komponenten des umfangreichen Finanzplanes, der notwendig wäre, um die Region zu sanieren. Bei der Vorbereitung eines solchen Planes müssen wir den Blick auch auf andere Institutionen und weitere Quellen richten.

 Der Begriff »entwickelte Länder« sollte unter wirtschaftlicher Perspektive auf vier verschiedenen Ebenen betrachtet werden – der politischen, der administrativen, der finanziellen und der operativen Ebene.

 Die politische Ebene: In Europa ist es der Ministerrat, der aus den Mitgliedern der Regierungen der zwölf Staaten zusammengesetzt ist, die die Europäische Gemeinschaft bilden. In den Vereinigten Staaten ist mit der politischen Ebene die notwendige Übereinstimmung zwischen der Bundes-Administration und dem Kongreß gemeint. In Japan ist die politische Ebene die Verbindung zwischen der Zentralregierung und den Wirtschaftsgesellschaften.

 Die administrative Ebene: In Europa versteht man darunter die ausführenden Institutionen des gemeinsamen Marktes. In den Vereinigten Staaten spricht man von der lokalen Administration der Bundesstaaten. In Japan bedeutet es eine charakteristische Entscheidungsfindung, die eher auf einem gewachsenen Konsens basiert als auf einer bestimmenden Hierarchie.

 Die finanzielle Ebene: In allen drei zentralen Wirtschaften der Welt stellen das nationale und internationale Bankensystem die finanziellen Mittel zur Verfügung und kontrollieren deren Verteilung. Die Banken sind heutzutage imstande, auch neue Aktionsfelder abzudecken.

 Die operative Ebene: Gemeint sind damit die großen nationalen oder multinationalen Gesellschaften, die in einer Welt produzieren und vermarkten, in der die Märkte mit der Zeit wichtiger werden als die Staaten.

 Die Gründung eines neuen Nahen Ostens wird von allen wichtigen Organisationen der Welt begrüßt, und sie wird von ihnen politische Unterstützung erfahren. Neben dem Willen, die gesamte Region von Hunger und Kriegsangst zu erlösen, entwickelt sich zunehmend ein echtes Interesse der Staaten der Welt und der regionalen Organisationen an einer Stabilisierung der Handelswege, des Luftverkehrs, des Verkehrs über Land und auf den Seewegen. Das Ziel ist die Entspannung im Nahen Osten als Mittel gegen die atomare Gefahr und die Gewalt und den Terror des religiösen Fanatismus. Dies sind die beiden Hauptgefahren, die dem Blutkreislauf der Weltwirtschaft – der Ölwirtschaft – drohen, die ähnlich dem Kreislauf im Lebewesen einer maximalen Stabilität bedarf.

 Die Vereinigten Staaten sind zur Zeit mit der Schaffung einer Freihandelszone befaßt, die auch Kanada und Mexiko einschließt. Im Laufe der Zeit, so kann man annehmen, wird sie den gesamten amerikanischen Kontinent umfassen. Dies wird ein gemeinsamer Markt sein mit einer kolossalen Kaufkraft. Die Vereinigten Staaten und Kanada haben bekanntlich ein großes politisches und wirtschaftliches Interesse am Nahen Osten. Die Amerikaner investieren hier auch den Löwenanteil ihrer Auslandshilfe, und sie spielen eine führende Rolle im Friedensprozeß. Auch wenn es verfrüht wäre, über die Beziehung zwischen zwei regionalen Märkten, die noch nicht entstanden sind, zu diskutieren, muß doch beachtet werden, daß langfristig hier ein spannendes Potential liegt, das bereits heute nicht übersehen werden darf.

 Bezüglich Europa ist nicht allein von einem Potential die Rede. Die Europäische Gemeinschaft hatte historische Interessen im Nahen Osten, und sie hat ebenso gegenwärtige Interessen. Die Institutionen des gemeinsamen Marktes sind durch Verträge und enge Beziehungen mit einigen Staaten der Region verbunden (die Maghrebländer und Israel). Europa ist eine führende Kraft im Rahmen der multilateralen Verhandlungen, die mit der Konferenz von Madrid begonnen wurden. Europa zeigt an allen fünf Arbeitsgruppen der Verhandlungen Interesse – für Wirtschaft, Umweltschutz, Waffenkontrolle, Flüchtlingsfragen und Wasserfragen. Europa hat auch eine neue Vision für diese Region und entwickelt Strategien zu ihrer Realisierung.

 Japan bekundet ebenfalls zunehmendes Interesse am Rahmen dieser Verhandlungen. Es übernahm eine führende Rolle im Bereich des Fremdenverkehrs und des Umweltschutzes.

 Der Erfolg beim Aufbau eines neuen Nahen Ostens ist in hohem Maße auch von den Investitionen der Privatwirtschaft abhängig. Gemeint sind amerikanische, europäische und asiatische Firmen, in letzter Zeit kommen auch Firmen aus dem Nahen Osten selbst ins Spiel. Es gibt bereits spannende Experimente im Nahen Osten, Firmen mit amerikanischem, europäischem, asiatischem, arabischem und israelischem Kapital zu gründen. Der Erfolg einer Partnerschaft dieser Art bedeutet wirtschaftlichen Profit und politischen Nutzen in einem.

 Ein Überblick über die Weltwirtschaft unserer Zeit kann die weltweite Zunahme der Arbeitslosigkeit nicht außer acht lassen. An die Tore der etablierten und vielversprechenden Märkte klopfen Massen von Migranten und Arbeitslosen aus Ländern wirtschaftlicher Not. Sie haben zwar unter den neuen Bedingungen der Weltordnung die Möglichkeit, die offenen Grenzen zu passieren, sie stoßen aber auf die verschlossenen Türen der Wirtschaft.

 Ich führte diesbezüglich interessante Gespräche mit europäischen Politikern und mit Vorständen großer Firmen. Sie alle zeigen großes Verständnis für die Notwendigkeit, am Bau einer wirtschaftlichen Infrastruktur für den neuen Nahen Osten mitzuwirken.

 Präsident Mitterrand diskutierte diese Themen sehr ausführlich mit mir bei seinem Besuch in Israel. Anschließend erklärte er, daß Frankreich der Europäischen Entwicklungsbank vorschlagen werde, rund eine Milliarde Ecu für die Errichtung von regionalen Betrieben im Nahen Osten zur Verfügung zu stellen. Gemeint sind Kraftwerke, Transport- und Verkehrsunternehmen sowie Wasserentsalzungsanlagen.

 Ein ähnliches Gespräch führte ich mit Bundeskanzler Kohl nach der Vereinigung Deutschlands. Er stimmte mir zu, als ich von den Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Landes sprach: Meiner Meinung nach beruhen sie in hohem Maße auf dem Erfolg Deutschlands vor der Vereinigung und nicht auf einem Versagen danach. Die Arbeitsproduktivität Deutschlands stieg dermaßen, daß sie begann, Arbeitslosigkeit zu produzieren. Um dagegen vorzugehen, verkürzte die Bundesrepublik die Arbeitszeit und verlängerte die jährliche Urlaubszeit. Es nutzte nichts. Die Verbesserungen der individuellen Arbeitsbedingungen haben zwar der deutschen Wirtschaft viele Arbeitsstunden hinzugefügt, es reichte aber nicht aus, um die Zunahme der Arbeitslosigkeit zu stoppen.

 Vielleicht, sagte ich zu Helmut Kohl, wäre es sinnvoll, statt für Arbeitslose Unterstützung zu zahlen, in die Schaffung neuer Arbeitsquellen zu investieren. Auch in solche Quellen, die noch unerprobt sind, wie z.B. die Entwicklung eines neuen Nahost-Marktes. Der Kanzler zeigte sich diesem Gedanken aufgeschlossen, und ich fügte hinzu: Heutzutage ist das Wachstum eines Marktes nicht nur an der Anzahl von Konsumenten abzulesen, sondern auch an der Erhöhung des Konsumniveaus. Darum ist eine Investition, die für die Erhöhung des Lebensstandards geleistet wird, der Investition vorzuziehen, die das bestehende Niveau aufrechterhält. Es ist ja so, daß Länder mit hohem Einkommen mehr kaufen können und zugleich imstande sind, ihre Schulden zu tilgen.

 Als Beispiel führte ich die Hilfe der USA an Israel für die Integration von Einwanderern aus den GUS-Staaten an. Präsident Bush beschloß, Israel zehn Milliarden US-Dollar in Form einer Staatsgarantie zur Verfügung zu stellen, damit sich Israel Bankkredite besorgen könnte. Es geht hier nicht um die Vergabe von Geld aus dem amerikanischen Haushalt, sondern um eine Garantie für die Rückführung einer Schuld, deren Gegenwert in den Ausbau der Infrastruktur investiert wird. Wenn sich Europa für eine ähnliche Strategie bezüglich des Nahen Ostens entscheiden könnte und europäischen Firmen eigene Garantien in einem ähnlichen Umfang zur Verfügung stellen würde, könnte es auch sich selbst helfen und seinen Menschen die Sorgen und den Ländern die sozialen Erschütterungen ersparen, die mit der hohen Arbeitslosigkeit in ganz Europa verbunden sind. Der Bundeskanzler stand dieser Idee sehr positiv gegenüber.

 Ich unterhielt mich ferner mit dem Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors, über diese Perspektive, und er war von dem Gedanken begeistert. Es interessierten ihn vor allem drei Themenbereiche: die Errichtung von Kraftwerken, von Entsalzungsanlagen sowie der Kampf gegen den Verwüstungsprozeß. Er veranlaßte seine Mitarbeiter, einen detaillierten Kooperationsplan auszuarbeiten.

 Der amerikanische Außenminister Warren Christopher sagte mir aus eigener Initiative, daß amerikanische Firmen einen wichtigen Teil dieser enormen Aufgabe übernehmen müßten. Das State Department hat etwa fünfzig Vorstände großer US-Firmen eingeladen, um ihnen die Bedürfnisse und die Chancen vorzustellen, die mit der Gründung eines neuen Nahen Ostens verbunden sind.

 Einige große Unternehmen haben bereits begonnen, konkrete Projekte anzugehen. So prüft eine der größten und bekanntesten Firmen Europas die Möglichkeit, eine LKW-Fabrik zu errichten – teils in Ägypten, teils in Jordanien und teils in Israel. In allen drei Staaten würden Lastwagen montiert, und in allen dreien könnte auch ein Markt für den Absatz entstehen.

 Die Welt ist an Mitteln reicher als an Ideen und hat mehr Geld als Ziele. Der neue Nahen Osten ist ein solches Ziel und eine solche Idee, deren Zeit gekommen ist, und die Firmen könnten viel für ihre Verwirklichung tun.

 Wir müssen noch die dritte Ebene analysieren – die der Finanzen. Zweifelsohne kann man sich der vorhandenen Banken bedienen – der Weltbank, der Europäischen Bank und der privaten Handelsbanken. Meiner Meinung nach wäre es aber sinnvoller, eine Entwicklungsbank für den Nahen Osten zu gründen, um die Finanzmittel für die notwendigen Investitionen zu konzentrieren. Die Gründung einer solchen Bank bringt wichtige Vorteile mit sich: finanziell wird nicht mehr als ein Prozent ihres Kapitals benötigt. Psychologisch und sozial wird sie die Bewohner des Nahen Ostens ermutigen, den regionalen Rahmen als eine Wirklichkeit zu erkennen. (Jedes Kind kennt doch den Begriff ›Bank‹, und ich habe auch schon den Slogan »besser eine Bank als ein Tank« gehört.) Eine Entwicklungsbank für den Nahen Osten könnte auch viele Investoren anziehen, die ohne sie nie hierherkämen, und sie könnte dafür sorgen, daß Mittel aus der Region selbst ihr zufließen.

 Es gibt Stimmen, die dafür plädieren, daß die Weltbank die meisten Aktivitäten entwickeln soll. Sie kann aber kein optimales Instrument für die Situation im Nahen Osten sein. Die Palästinenser sind nicht Mitglied der Weltbank, und sie ist eine schwerfällige, unflexible Institution. Bis man von ihr ›Erste Hilfe‹ bekäme, würde eine lange Zeit vergehen. Ägypten würde wegen seiner jetzigen Schulden seinen Anteil nicht bekommen, und Israel steht nicht auf der Liste der Staaten, die das Recht haben, Hilfe von der Weltbank zu empfangen.

 Deshalb erscheint es mir wichtig, zu einer Vereinbarung mit den Jordaniern, Palästinensern und Ägyptern zu gelangen – sie sind die ersten Beteiligten am Frieden –, um in absehbarer Zeit einen Finanzapparat zu errichten. Man könnte ihn unter der Schirmherrschaft der Weltbank, allerdings organisatorisch von ihr getrennt, aufbauen. Es wäre eine Bank, die rasch auf die neuen Bedürfnisse reagieren könnte. Der Sitz der Bank müßte sich im Nahen Osten befinden, und die Mitarbeiter müßten sich aus den Bewohnern der Region rekrutieren. Sie würden sich mit Gehältern und Arbeitsbedingungen zufriedengeben müssen, die niedriger bzw. schlechter sind als bei vergleichbaren, reicheren internationalen Institutionen.

 Die Unterstützung der Gründerstaaten müßte bestehen in einer Einlage von einigen hundert Millionen Dollar sowie in einer Garantie gegenüber der Bank für die Gelder, die sie an den internationalen Finanzmärkten durch Anleihen aufnimmt. Die Bank würde Projekte nach einer Rentabilitätsprüfung zu Konditionen finanzieren, die günstiger sind als jene auf dem internationalen Kapitalmarkt. Die Betriebskosten der Bank würden aus dem Gewinn bestritten wie auch von den Erträgen aus dem Eigenkapital.

 Die Bank würde solche Projekte bevorzugen, die sich für eine Kooperation auf regionaler Ebene einsetzen, z.B. Kommunikationsbetriebe, Transport und Verkehr, Landwirtschaft, Wasserversorgung sowie Energieerzeugung.

 Meiner Meinung nach müßte man die Investitionsquellen in drei Kategorien einteilen: die erste ist, Kapital in der Region selbst zu mobilisieren. Die Friedensverträge müssen von Regelungen zur Verringerung der Rüstungskosten um ein Drittel und vielleicht sogar bis zu 50 Prozent flankiert werden. Es handelt sich hier um ein riesiges Kapital – ca. fünfzig Milliarden US-Dollar –, das in eine Wirtschaft des regionalen Friedens fließen würde. Vielleicht ist auch die Zeit gekommen, daß die ölfördernden Länder ein Drittel ihrer Einkünfte als regionale Entwicklungsdarlehen zur Verfügung stellen. Dies würde auf die Ölpreise kaum Einfluß haben und die ölexportierenden Länder von der Bedrohung der Stabilität befreien, die auf verschiedenen Regimen lastet. Durch die Öffnung der Grenzen sowie durch die Entwicklung des Fremdenverkehrs wäre es möglich, Mittel zu mobilisieren, die als Entwicklungskapital unmittelbar für den Handel, für Transport und Verkehr sowie für die Entwicklung von Dienstleistungen im Tourismusbereich zur Verfügung gestellt würden.

 Die zweite Kategorie ist die Mobilisierung von Kapital durch große Weltfirmen. Die physische Infrastruktur, die Hauptverkehrs- und Kommunikationsadern, die Erschließung von Naturressourcen und vor allem die Meerwasserentsalzung ermöglichen Aufträge für Ausrüstung und schaffen Arbeit. Dafür werden langfristige Kredite unter akzeptablen Bedingungen benötigt. Diese Kredite müßten mit Garantien der Staaten oder der Gemeinschaften ausgestattet sein, in deren Rahmen diese Unternehmen aktiv sind. So würden die Firmen weitere Aufträge bekommen und könnten dabei ihre Überkapazitäten nutzen und sich an vielversprechenden Investitionen beteiligen.

 Die dritte Kategorie ist der Transfer von direkter Hilfe an notleidende Bevölkerungen – z.B. im Gaza-Streifen – durch Abzweigung eines Teils der finanziellen Mittel, die ohnehin für die Auslandshilfe eingeplant sind, um sie für dieses humanitäre Ziel einzusetzen.

 Jede Investition, die im Nahen Osten vorgenommen wird, wird neue Früchte tragen und an den Investor zurückfließen, sei es durch die Stabilität der Ölpreise oder in Form von Einsparungen bei der Unterhaltung von Truppen in der Region. Der neue Nahe Osten, wirtschaftlich entwickelt, sozial und politisch stabil, wird die Welt weniger kosten, als sie im Fall einer neuen bewaffneten Auseinandersetzung ausgeben müßte.

 Es steht eine große regionale und internationale Aufgabe vor uns. Sie paßt in den Rahmen der historischen Chancen, die sich zunehmend bieten – wenn wir nur beizeiten Vernunft genug haben, sie zu erkennen.